Schengen: Geburtsort des grenzenlosen Europas

Als „Wiege des grenzenlosen Europas“ wird Schengen, ein kleines Städtchen in Luxemburg, oft genannt. Denn Schengen ist weit mehr als nur ein idyllischer Winzerort am Ufer der Mosel. Eingebettet zwischen sanften Weinbergen und der malerischen Flusslandschaft, atmet dieser Ort europäische Geschichte. Doch was macht Schengen so besonders?

Am 14. Juni 1985 wurde hier ein Vertrag unterzeichnet, der Europa grundlegend verändern sollte: das Schengener Abkommen. Damals bestand die Europäische Gemeinschaft (EG) aus zehn Mitgliedsstaaten. Das Schengener Abkommen schlossen fünf Staaten ab: Frankreich, Deutschland, Luxemburg, Belgien und die Niederlande. Bis heute sind es 27 Länder, die an dem Abkommen teilnehmen, das den Grundstein für die Abschaffung der Grenzkontrollen zwischen den beteiligten Ländern legte.
Schengen – Synonym für offene Grenzen in Europa
Grenzkontrollen, Stacheldraht und Schlagbäume verschwanden und Schengen wurde zum Symbol für die Freiheit, sich in Europa ungehindert bewegen zu können. Unterzeichnet wurde der Vertrag auf dem luxemburgischen Fahrgastschiff „MS Princesse Marie-Astrid“. Zwar wurde das Abkommen bereits 1985 signiert, doch es dauerte noch zehn Jahre, bis es auch umgesetzt und in der Praxis angewendet werden konnte. Inzwischen sind 27 Staaten angeschlossen.

Nationensäulen mit Minitaturwelten
Auf dem Place des Étoiles am Moselufer erinnert ein Ensemble aus drei markanten Säulen an dieses historische Ereignis. Die Nationensäulen symbolisieren die Zusammenarbeit der Schengenstaaten und auch den Mut, Grenzen zu überwinden und gemeinsame Werte zu schaffen. Die Säulen stehen für die wachsende Zahl der EU-Mitgliedsstaaten und die Reliefsterne für einzelne Länder. In Bronze gegossene, sternförmige Landschaften zeigen Miniaturen mit den für das jeweilige EU-Land typischen Dingen wie Sehenswürdigkeiten, Bräuche, Fauna und Flora oder fiktive Berühmtheiten: Pipi Langstrumpf für Schweden, das Atomium für Belgien, Pinocchio für Italien oder der Eiffelturm für Frankreich. Die Reliefs wirken wie vertikale Wimmelbilder, in denen es viel zu entdecken gibt.

In direkter Nachbarschaft befindet sich das Europäische Museum (Musée Européen Schengen, Rue Robert Goebbels). Ein Besuch lädt dazu ein, tiefer in die Geschichte und Bedeutung des Schengener Abkommens einzutauchen. Das Museum bietet eine interaktive Reise durch die Entstehung und die Auswirkungen der offenen Grenzen, die heute für Millionen Europäer selbstverständlich sind. Aktuell wird das Museum allerdings saniert und erst 2025 wiedereröffnet.

Dreiländereck Deutschland-Frankreich-Luxemburg
Schengen liegt im sogenannten Dreiländereck. Hier treffen Deutschland, Frankreich und Luxemburg zusammen, eine Boje im Fluss markiert die genaue Stelle. Am gegenüberliegenden Moselufer liegt auf der deutschen Seite der Ort Perl. Hier wird die Bedeutung des Schengener Abkommen besonders deutlich. Menschen aus allen drei Ländern nutzen den Vorteil grenzüberschreitender Shoppingtouren. In Luxemburg ist das Tanken deutlich billiger und auch Spirituosen, Kaffee und Zigaretten sind günstiger. Luxemburger und Franzosen wiederum kommen nach Perl um Lebensmittel im Discounter und Drogerieartikel zu kaufen. Angesichts der grenzüberschreitenden Besucherströme wächst Perl beständig: vier dm-Filialen, eine Lidl-Filiale und zwei Aldi-Filialen gibt es inzwischen.
Elbling wächst auf Muschelkalk
Aber Schengen hat auch abseits seiner politischen und wirtschaftlichen Bedeutung viel zu bieten. Die malerische Lage an der Mosel, umgeben von üppigen Weinbergen, lädt zu Spaziergängen ein. Besonders im Herbst, wenn die Blätter der Weinreben in warmen Farben leuchten, zeigt sich Schengen von seiner schönsten Seite.
Der beschauliche Ort liegt an der luxemburgischen Weinstraße. Zahlreiche Winzer und Weingüter bieten hier ihre Weine an, zum Beispiel aus den Rebsorten Müller-Thurgau, Pinot oder Elbling: Der bereits von den Römern angebaute Elbling ist typisch für die Obermosel, der Weißwein ist geprägt von den mineralreichen Böden der Region, die denen der Champagne ähneln. Die Reben wachsen – anders als der sonst für die Mosel und die Saar typische Riesling – nicht auf Schiefer sondern auf Dolomitgestein. Diese Kalkablagerungen sind aus dem Urozean entstanden und machen den Elbling zu einer charakteristischen Spezialität der Region. Vor allem der spritzige Elbling-Winzersekt ist ein beliebtes Urlaubssouvenir.
Statue des Schengener Abkommens
Moselabwärts Richtung Moselbrücke steht an der Uferpromenade Esplanade ein Stück der Berliner Mauer – ein weiteres Symbol für den Wegfall europäischer Grenzen. Nur ein Steinwurf entfernt befindet sich die Statue des Schengener Abkommens. Die Stelen aus Cortenstahl erinnern an die Unterzeichnung des Vertrags. Am Moselufer gegenüber liegt der Anlegeplatz der MS Princesse Marie-Astrid, auf der das historische Ereignis stattfand.

Moselaufwärts in der Nähe des Europaplatzes ragt ein weiteres bemerkenswertes Wahrzeichen empor: der Schengener Turm. Der mittelalterliche Wachturm war Teil einer Burganlage, die einst die Mosel und die umliegenden Handelswege überwachte. Berühmt wurde der Turm durch eine Zeichnung des französischen Schriftstellers Victor Hugo, der auf einer seiner Reisen im Jahr 1871 die romantische Atmosphäre des Ortes einfing. Hugos Skizze zeigt den Turm in seiner pittoresken Umgebung.